Die Berlinerin Journalistin Lilo Schumann, die im Jahr 2000 im Rentenalter ihren Wohnsitz nach Wismar verlegt hatte, brachte das Projekt STOLPERSTEINE in die Hansestadt. 2006 suchte sie Interessierte für ihr Vorhaben und fand zunächst im Altstadtbeirat Verbündete. Sie erforschte die Aktenlage im Archiv der Hansestadt Wismar und trieb die Umsetzung des Projektes voran. Und dies erfolgreich. Auf eine Anfrage in der 32. Bürgerschaftssitzung konnte die Bürgermeisterin, Frau Dr. Rosemarie Wilcken, über erste Aktivitäten der Stadtverwaltung diesbezüglich berichten. Am 29. November 2007 fasste die Bürgerschaft der Hansestadt Wismar einen Beschluss zur Unterstützung des Projektes STOLPERSTEINE durch die Stadt Wismar. Die Bürgermeisterin wurde beauftragt, einen ersten Stein im Vorgriff auf das Haushaltsjahr 2008 zu finanzieren.
Nachdem die Rahmenbedingungen geklärt waren, suchte Lilo Schumann geschichtsinteressierte Schülerinnen und Schüler für die Umsetzung des Projektes. Im Gerhart-Hauptmann-Gymnasium stieß sie auf offene Türen. Mit Frank Reichelt fand sie einen engagierten Geschichtslehrer, der ein Team von Schülerinnen und Schülern zusammenstellte. Unterstützt wurde die Arbeitsgruppe von Petra Steffan vom Presse-, Marketing- und Bürgeramt der Stadtverwaltung sowie von Gerd Giese, Leiter des Stadtarchivs. Der Geschichtsforscher Falk Bersch vervollständigte die Gruppe. Die Schülerinnen und Schüler konnten gut betreut an die Arbeit gehen. Die Arbeitsgruppe wollte - ganz im Sinne Demnigs - Vertretern aller Opfergruppen ein Denkmal setzen. So wurde neben der Beschäftigung mit ehemaligen jüdischen Bürgern auch das Schicksal von Opfern aus den Reihen der Zeugen Jehovas, sowie der Leidensweg von Sozialdemokraten und Kommunisten erforscht sowie die Ermorderung kranker und behinderter Menschen. Bald lagen für neun ehemalige verfolgte Menschen gesicherte Erkenntnisse vor, so dass die Angaben für das Verlegen von STOLPERSTEINEN ausreichten. Am 15. Juli 2008 kam Gunter Demnig erstmals nach Wismar und verlegte neun STOLPERSTEINE.
Die Projektgruppe formierte sich nach dem Abgang der Abiturienten neu und forschte weiter. Angehörige der Betroffenen meldeten sich und rundeten die Forschungsergebnisse mit ihren Informationen ab. Patenschaften über die gesetzten und die neu zu setzenden Steine wurden vergeben. Die Akteure der Projektgruppe wechselten in den nächsten Jahren, neben der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern waren Forschungen von Privatpersonen eine wichtige Grundlage. Eine Vielzahl von Einzelpersonen und Vereinen trugen zudem zur finanziellen Unterstützung bei. Bis 2019 verlegte Gunter Demnig fünf weitere Male STOLPERSTEINE in Wismar.
Die Aufgaben der Wismarer Projektgruppe beschränken sich nicht nur auf die Recherche als Grundlage für die Verlegung der STOLPERSTEINE. Mindestens zweimal im Jahr finden öffentliche Stadtführungen zur Geschichte des Nationalsozialismus statt, weitere Führungen werden von Schulklassen in Anspruch genommen. Diese Rundgänge ermuntern noch lebende Zeitzeugen, sich zu Geschehnissen der Jahre 1933 bis 1945 zu äußern. Im Jahr 2011 wurde begonnenen an einer Ausstellung zu einzelnen Schicksalen zu arbeiten. Anlass war die Landesgedenk-veranstaltung für die Opfer der "Euthanasie" und Zwangs-
sterilisierungen in Mecklenburg-Vorpommern in der Zeit des Nationalsozialismus, die vom Verein "Das Boot" Wismar e.V. organisiert und am 27. Januar 2012 in Wismar durchgeführt wurde. Eine Einführungstafel sowie vier Tafeln zu den einzelnen Opfern der Euthanasie aus Wismar, für die bereits STOLPERSTEINE verlegt wurden, konnten zu diesem Zeitpunkt präsentiert werden. Die Ausstellung wurde im Jahr 2017 durch zwei Tafeln für homosexuelle Opfer erweitert. Erinnerungsarbeit wird zudem durch verschiedene Veranstaltungen geleistet. Dabei haben die Akteure von Anfang an versucht, noch lebende und auch schon verstorbene Zeugen des nationalistischen Unrechts zu Wort kommen zu lassen - sei es durch persönliche Begegnungen, Filmveranstaltungen oder durch Lesungen historischer Aufzeichnungen.
Über 40 STOLPERSTEINE sind in der Hansestadt Wismar bereits zu finden. Und längst wurde nicht für alle in Frage kommenden Personen solch ein Gedenkstein verlegt. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben zudem gezeigt, dass eine Vielzahl der Opfer des Nationalsozialismus noch unbekannt ist. Erst mit fortlaufenden Recherchen findet man weitere Hinweise zu Schicksalen Wismarer Bürgerinnen und Bürger. Derzeit wird der Fokus vermehrt auf jüdische Bürgerinnen und Bürger gelegt, da über diese Opfergruppe erst nach und nach neue Erkenntnisse gewonnen werden. Auch zu Opfern der "Euthanasie", durch die Nationalsozialisten ermordete kranke Menschen, muss noch geforscht werden. In den nächsten Jahren könnten schätzungsweise 10 bis 20 weitere STOLPERSTEINE verlegt werden. So ist an ein Ende der Aufarbeitung und des Gedenkens an die Geschehnisse der Jahre 1933 bis 1945 auch über 70 Jahre nach Kriegsende noch nicht zu denken.